Mittwinter und Rauhnächte

Heidnische Hintergründe unseres Weihnachtsfestes

 In Info3 (12/2022), S. 38-42.

 

Mit Weihnachten wird vor allem das Geburtsfest Jesu Christi verbunden. Aber immer wieder spuken auch ganz unchristliche Gestalten durch die geweihten Winternächte – gehörnte Krampusse und Perchten, wilde Jäger und Wichtel, un/holde Frauen und Weihnachtsmännner. Die meisten dieser Wesen, die uns zugleich fremd und doch vertraut vorkommen, stammen noch aus der germanischen Religion und erinnern an die heidnischen Hintergründe unseres Weihnachtsfestes.

Wintersonnenwende

 

Weihnachten ist das älteste und weltweit am weitesten verbreitete Volksfest der Welt. So ist es nur naheliegend, dass sich in ihm auch Einflüsse verschiedenster Kulte und Kulturen wiederfinden: Es ist altorientalisch-spätantik, jüdisch-christlich und katholisch-liturgisch, aber auch vorchristlich und volksmagisch, heidnisch und schamanisch. Denn das Weihnachtsfest ist eigentlich das Fest der Wintersonnenwende und wird seit Tausenden von Jahren von den Menschen feierlich begangen.

 

Die Wintersonnenwende (immer um den 21. Dezember) ist keine abergläubische Erfindung, sondern empirische Realität: Zu keinem anderen Zeitpunkt im Jahr ist die Nordhalbkugel des Planeten weiter von der Sonne abgewendet als zur Wintersonnenwende; Helios steht über dem südlichen Wendekreis. Daher ist auf der Nordhalbkugel der kürzeste Tag bzw. die längste Nacht des Jahres; die antiken Griechen nannten diesen Moment Heliostasion: „Stillstand der Sonne“.

 

Für die Menschen des Altertums war diese dunkle Jahreszeit fürwahr von existenzieller Bedeutung, denn der Winter war eine durchaus lebensbedrohliche Zeit: Hatte man über das Jahr genügend Ernte eingefahren, eingemacht und eingelagert? War das Vieh versorgt? Das Feuerholz geschlagen? Aber „Mittwinter“ bedeutete nicht nur den „Untergang“ und „Tod“ der Sonne, sondern, weil die Tage danach wieder länger wurden, zugleich auch deren „Auferstehung“ und „Wiedergeburt“ – das eigentliche „Neujahrsfest“. Daher begingen schon die alteuropäischen Bauern vor über fünftausend Jahren winterliche Sonnenkulte und bauten kultisch-astronomische Observatorien, die auf den Lichteinfall zur Wintersonnenwende ausgerichtet waren, man denke nur an Stonehenge. Indoeuropäische Waldvölker wie die Kelten, Germanen, Slawen und Balten verewigten die Wintersonnenwende schon vor zwei Jahrtausenden in heiligen Mythen und enthusiastischen Riten. Und für die Römer ist seit der Kaiserzeit bezeugt, dass sie das Fest des „unbesiegbaren Sonnengottes“ (Sol invictus) exakt am 25. Dezember begingen; von diesem Cultus stammt übrigens auch die Sitte, sich zu Weihnachten zu beschenken. Durch das ganze Mittelalter bis weit in die Neuzeit war Mittwinter ein geradezu heiliger Tag im Bauernkalender. Viele dieser uralten Mythen und Rituale haben bis heute überlebt, wenngleich vielfach abgesunken zu Kindermärchen und Volksbräuchen. In Nord- und Mitteleuropa stammen diese Überlieferungen und Relikte meist aus dem heidnisch-germanischen Kulturkreis.

Rauhe Nächte und Wilde Jäger

 

Schon das Wort „Weihnachten“ ist germanisch und bedeutet wörtlich „geweihte Nächte“. Auffälligerweise handelt es sich um einen Plural: Offensichtlich gibt es nicht nur eine Weihnacht, sondern mehrere Weihnächte. Tatsächlich bezieht sich der Wortteil -nachten auf den Umstand, dass die vorchristlichen Germanen ihr Mittwinter-Fest über zwölf Tage bzw. Nächte lang feierten. Noch heute nennt man diese zwölf Winternächte – je nach Rechnung und Kalender zwischen Wintersonnenwende und Epiphanias – „Rauhnächte“. Zu dieser Zeit, heißt es in der volkstümlichen Überlieferung, sei die Grenze zwischen Menschenwelt und Geisterwelt durchlässig: Die Ahnengeister gingen um und forderten Opfer ein. Traditionell wurde jede Nacht ein Räucherritual mit Waldweihrauch durchgeführt, um die Götter, Geister und Dämonen mild zu stimmen sowie Haus und Hof zu segnen (auch die heiligen drei Könige brachten Weihrauch). Daher der Name „Weihnachten“ bzw. „Rauchnächte“.

 

Möglicherweise leitet sich das Wort „Rauh-“ aber auch vom mittelhochdeutschen rûch ab, was so viel wie „haarig“ bedeutet. Demnach bezieht es sich auf die tierischen und teuflischen Gestalten, die laut alter Sage zur Zeit der Sonnenwende durch die dunklen Winterwälder jagen, die „Wilde Jagd“. Man hat lange gerätselt, was es mit dieser Nachtfahrt auf sich hat und vermutete zunächst, dass es sich um eine phantastische Personifikation des rauen Wintersturmes handelt. Mittlerweile geht man jedoch davon aus, dass es sich bei der Wilden Jagd um einen kultisch-religiösen Umzug handelte, bei dem sich die Ritualteilnehmer in Tierfelle hüllten und ekstatische Tänze vollführten; wahrscheinlich so ähnlich wie die antiken Griechen bei ihren wilden Dionysien, wo man sich als Bock verkleidete (Satyr) oder mit Hirschkalbfell maskierte (Mänade).

 

Solche Kulte gibt es sogar heute noch zur Weihnachtszeit, zwar abgesunken vom Schamanenritual zum Volksschauspiel, aber immer noch mit stark archaischem Gepräge. Vor allem im Alpenraum wird das Perchtenlaufen, Krampuslaufen oder Klausenjagen praktiziert: Dabei verkleiden sich zwölf junge Leute mit Naturmaterialien (Zweigen, Pelzen und Hörnern) und ziehen unter einem Heidenlärm (Glockenschlag und Peitschenknall) über die Berge und von Dorf zu Dorf, um Heischebräuche aufzuführen. Sie sehen aus wie Teufel, doch handelt es sich um die Darstellung gehörnter Naturgeister aus der vorchristlichen Zeit. In den Gemeinden um den Untersberg wird sogar explizit die „Wilde Jagd“ begangen, die – sofern der Bauer sich spendabel zeigt und Brot und Bier opfert – Haus und Hof mit einem Zauberspruch segnet: „Glück hinein! Unglück heraus! Es zieht die Wilde Jagd ums Haus!“.

 

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Vollständiger Artikel in der INFO3.



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