Thomas Höffgen

Heines Götter im Exil. Ein Satyrspiel

In: Euphorion. Zeitschrift für Literaturgeschichte 111 (2017), S. 61-73.

 

 

I.

 

Es ist den alten Heidengöttern schlecht ergangen, seit das Christentum in der Spätantike und im Mittelalter missionierend durch Europa zog: Mit eiserner Zunge predigten die Mönche damals von der einzig wahren Religion und dem einzig wahren Gott, während das ganze Pantheon der Griechen, Römer, Kelten und Germanen als dem Reich des Satans zugehörig abgeurteilt wurde. Binnen weniger Jahrhunderte verkehrten die feuereifrigen Apologeten des Herrn die ursprüngliche Naturreligion der vorchristlichen Völker zu einem gotteslästerlichen Götzendienst: Der Dienst an der Natur galt fortan als ein Teufelsdienst, die alten Mythen als Diktionen des Diabolos und die Priesterschaft der Heiden als ein perverser Hexenhaufen. Diese – zwar stilisierte, aber doch historisch fassbare[1] – Darstellung der interpretatio christiana ist der historische Kontext, der Heinrich Heines Götter im Exil zu Grunde liegt. Fast beiläufig, in einer Art Einleitung im Essay-Stil, umreißt der Dichter diese tragische Geschichte der Verteufelung der Naturgötter, um dann zu seinem eigentlichen Gegenstand zu leiten, der sich in der Frage formulieren lässt: Wo sind die alten Götter heute?

 

Weiterlesen...



[1]Als der Missionar Paulus von Tarsus im ersten nachchristlichen Jahrhundert in das heidnische Athen kam, heißt es in der Apostelgeschichte des Lukas, „ergrimmte sein Geist in ihm, als er die Stadt voller Götzenbilder sah“ (Apg 17,16). Zur faktischen Verteufelung der germanischen Götter durch die christliche Mission vgl. das Altsächsische Taufgelöbnis (8. Jhd.). In: Althochdeutsche Literatur. Eine kommentierte Anthologie. Übersetzt, herausgegeben und kommentiert von Stephan Müller. Stuttgart 2007, S. 98.